„Essen ist kein Privileg!“ und „Das Heimatland ist nicht käuflich!“
Fotoreportage auf apnews

https://apnews.com/article/milei-strike-protest-argentina-buenos-aires-omnibus-7bd8be35f86d90f7f9167364152748e5
25 Jan. 2024
Die Maßnahmen des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei zur Deregulierung der Wirtschaft und Entmachtung der Gewerkschaften stoßen auf massiven Widerstand. Am Mittwoch legte ein mehrstündiger Generalstreik das Land weitgehend lahm. Zehntausende gingen auf die Straße.

Argentiniens Präsident Milei schafft jegliches Minimum an sozialer Fürsorge ab
Am Mittwoch führten die Argentinier den schnellsten Generalstreik in der Amtszeit eines Präsidenten seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1983 durch. Schon einen Monat nach Amtsantritt wurde der neue argentinische Präsident Javier Milei mit einem streikenden Land konfrontiert. Damit wurde die Ablehnung seines gegen die Gewerkschaften gerichteten Dekrets sowie seiner Wirtschafts- und Arbeitsreformvorschläge zum Ausdruck gebracht, hieß es in einer Fotoreportage auf apnews am Mittwochabend.

Analyse
Argentiniens Präsident Milei schafft jegliches Minimum an sozialer Fürsorge ab
Einen Monat zuvor, am 20. Dezember, hatte Milei ein Dekret erlassen, mit dem er mehr als 300 bestehende Gesetze aufhob oder änderte, um zum einen die Macht der Gewerkschaften einzuschränken und zum anderen die argentinische Wirtschaft zu deregulieren. Zusätzlich bereitete er mit einem sogenannten Omnibus-Gesetz eine Notstandsgesetzgebung mit zusätzlichen präsidialen Machtbefugnissen und umfangreichen Sozialkürzungen vor. Erst am Mittwoch hatte ein Ausschuss des Unterhauses des Kongresses den Gesetzentwurf gebilligt.
Mit enormen Haushaltskürzungen wolle er die Inflation eindämmen, erklärte der neue Präsident. Umfragen zufolge, so der apnews Artikel, würde Milei trotz kontinuierlich steigender Inflation und angekündigter Massenentlassungen in staatlichen Unternehmen weiterhin von mehr als der Hälfte der Befragten unterstützt.
Zum Generalstreik aufgerufen hatte die größte argentinische Gewerkschaft CGT. Neben anderen Gewerkschaften schlossen sich soziale Organisationen und politische Gegner an. Auch Mitglieder der peronistischen Partei gingen am Mittwoch auf die Straße.
Sicherheitsministerin Patricia Bullrich bezeichnete die Organisatoren als „Mafiosi“. Sie würden den von den Argentiniern gewählten Wandel verhindern wollen. Ihr Sprecher, Manuel Adorni, erklärte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz: „Man kann keinen Dialog mit Leuten führen, die versuchen, das Land zu stoppen und eine eher antidemokratische Seite zeigen.“

Analyse
Argentinien: Der Präsident ist keineswegs der Libertäre, als der er sich gerne ausgibt
In den Tagen vor dem Streik hatte Mileis Regierung die Demonstranten gewarnt, bei den traditionell durchgeführten Straßenblockaden würden sie verhaftet werden. Diese Warnung hielt aber Tausende Argentinier nicht davon ab, um 12:00 Uhr (15:00 GMT) mit den zwölfstündigen Massenstreiks zu beginnen. Bestreikt wurden Verkehr, Banken, Krankenhäuser und öffentliche Dienste. Wobei die Verkehrsbetriebe erst ab 19:00 Uhr in den Streik treten wollen, um den Menschen die Teilnahme an den Demonstrationen zu erleichtern. Aufgrund der Streiks mussten die örtlichen Fluggesellschaften Hunderte Flüge absagen.
Nach Aussage der Al Jazeera Reporterin Lucia Newman, die am Mittwoch aus Buenos Aires berichtete, sei es aufgrund der Menschenmassen „unmöglich“, die Zahl der Teilnehmer an den Protesten zu bestimmen. Es würden sich unüberschaubar viele Menschen beteiligen. Sie stellte fest: „Es ist immer noch sehr, sehr angespannt, und diese Lage hält an, aber es ist eine riesige Beteiligung bis jetzt.“ Al Jazeera zitierte Streikteilnehmer und deren Befürchtungen angesichts der Politik von Javier Milei:
„Milei will ein Land, in dem die Armut und die informelle Arbeit 90 Prozent erreichen“, habe das Gewerkschaftsmitglied und Abgeordnete der nationalen Opposition Hugo Yasky im lokalen Radiosender Radio Con Vos die neue Regierung kritisiert.
Demonstranten hätten Plakate mit der Aufschrift „Das Heimatland ist nicht käuflich“ und „Essen ist kein Privileg“ getragen. Auf einem anderen Plakat konnte man lesen: „Die Rentner von heute sind die Arbeiter von gestern, hört auf, sie auszurauben!“ Ein anderer Teilnehmer habe bezweifelt, dass Milei’s Politik neue Arbeitsplätze schaffen würde: „Jetzt gibt es keine neuen Arbeitsplätze. Was es jetzt gibt, ist weitverbreitetes Elend, die Verzweiflung der Menschen, es gibt keine Maßnahmen, um den Schaden zu mindern, den sie verursachen.“
Präsident Milei: Übereinkünfte mit dem IWF in Davos, Proteste und Straßenblockaden in Argentinien
https://de.rt.com/amerika/193861-generalstreik-in-argentinien-essen-ist/
Argentinien: Der Präsident ist keineswegs der Libertäre, als der er sich gerne ausgibt
10 Jan. 2024 11:36 Uhr
Der kürzlich neugewählte argentinische Präsident Javier Milei behauptet, ein freiheitsliebender „anarchistischer Kapitalist“ zu sein. Aber wenn man an seiner Fassade kratzt, dann kommt ein Faschist hervor. Er wird zwangsläufig staatliche Repressionen einsetzen müssen, um seine Politik durchzusetzen.

Von Bradley Blankenship
Der rechtsextreme argentinische Ökonom und sogenannte „Libertäre“ Javier Milei wurde kürzlich zum Präsidenten seines Landes gewählt. Er versprach, die Inflation zu bekämpfen und mitten in einer schweren Wirtschaftskrise den Vorschlaghammer gegen den Staatsapparat einzusetzen. Aber seine vorgeschlagenen Maßnahmen werden höchstwahrscheinlich kein Allheilmittel für die Probleme Argentiniens sein und – was noch wahrscheinlicher ist – dem Land nur noch mehr Schaden zufügen.

Maduro kritisiert „dumme Entscheidung“ Argentiniens, aus BRICS auszusteigen
Bevor wir auf die besonderen Positionen von Javier Milei näher eingehen, muss darauf hingewiesen werden, dass die derzeitige Wirtschaftskrise Argentiniens direkt dem ehemaligen rechtskonservativen Präsidenten Mauricio Macri zuzuschreiben ist, der das Amt von 2015 bis 2019 innehatte. Er trat dieses Amt an, indem er gleichzeitig einen massiven Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) für das Land aufnahm – in der Hoffnung darauf, seine politische Glaubwürdigkeit vor einer harten Wiederwahl zu stärken, die er schließlich trotzdem verlor. Es waren diese massiven unbezahlbaren Schulden, die sich bis in die Amtszeit des scheidenden Präsidenten Alberto Fernández hinzogen und zur Hyperinflation im Lande beitrugen. Die Geschichte der argentinischen Wirtschaft ist lang und kompliziert, etwa alle sechs Jahre gerät die argentinische Wirtschaft in eine Krise. Aber diese jüngste Krise kann man direkt auf dieselbe Art von Sparmaßnahmen und von westlichem Stiefellecken zurückführen, die wir heute wieder vor uns sehen.
Vorhang auf für Javier Milei: Er möchte sich genau denselben Richtlinien und Institutionen anschließen, die bereits in der Vergangenheit die argentinische Wirtschaft ruiniert haben, namentlich dem IWF und dem kollektiven Westen, vor allem aber den Vereinigten Staaten von Amerika. Gleichzeitig will er die Souveränität seines eigenen Landes völlig aufgeben, indem er den US-Dollar als Verkehrswährung einführt. Er möchte die Beziehungen zu großen Ländern wie China aus rein ideologischen Gründen abbrechen, ganz zu schweigen davon, wie lächerlich dies die Lieferketten Argentiniens kappen und dessen Platz im internationalen Handel zerstören würde. Er hatte außerdem versprochen, den Beitritt zum BRICS-Format aufzugeben – was er offiziell mittlerweile auch getan hat – und sich stattdessen der angeblich „zivilisierten“ Welt hinzuwenden – also zu Nordamerika, zur EU und deren Partnern, einschließlich Israel.
Es ist klar, dass dies angesichts der langfristigen Entwicklung der wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen Macht, die sich nach Osten wendet, nicht nur tollkühn ist, sondern auch ein offener Verrat am eigenen, argentinischen Volk. Der Verzicht auf eine souveräne Währung – so wie es Ecuador und El Salvador taten, beides Länder, die ebenfalls regelmäßigen wirtschaftlichen Turbulenzen ausgesetzt sind – würde garantieren, dass die Geldpolitik von Buenos Aires in Washington, D.C. bestimmt wird. Ohne fiskalischen Austausch und Arbeitsmarktintegration würde dies Argentinien faktisch zu einer US-Kolonie machen.

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Darüber hinaus möchte Milei praktisch jede Regierungsbehörde abschaffen – und damit einen libertären feuchten Traum in Erfüllung bringen, den ihm vielleicht sein vertrauenswürdigster Berater, sein verstorbener Hund, vermittelt hat. Das ist kein Witz: Wirklich, er lässt sich von seinem toten Hund beraten. Die ökonomisch berechenbaren gesellschaftlichen Kosten einer Kürzung im Bildungs-, Gesundheits- und Transportwesen sowie in der Technologie wären nicht nur immens, sondern würden Argentinien mit ziemlicher Sicherheit innerhalb einer Generation zu einem wirtschaftlichen Nullfaktor machen und bestenfalls zu einem Dauerbrenner als Opfer von Auswanderung.
Andererseits ist es auch wichtig anzumerken, dass er kein reiner Anarchokapitalist oder Marktlibertärer ist, wie er gern von sich selbst behauptet. Wenn man sich seine politischen Vorschläge genauer ansieht, dann sind hier einige „Glanzlichter“ hervorzuheben: Militarisierung der Institutionen während der Übergangszeit, Aufbau eines gewinnorientierten öffentlich-privaten Gefängnissystems, Lockerung der Vorschriften für die Inhaftierung von Menschen, Einführung von Zwangsarbeit für Strafgefangene – so dass sie nicht freigelassen werden können, ohne zuerst wirtschaftlich produktiv gewesen zu sein –, die Herabsetzung des Alters der Strafmündigkeit von Minderjährigen, also das Alter, in dem jemand gesetzlich als moralisch urteilsfähig gilt und daher strafrechtlich verurteilt werden kann, sowie die Schaffung eines nationalen Überwachungsnetzwerks mit Kameras samt Gesichtserkennung.
Die Befürworter von Milei sind davon überzeugt, dass er mit seinem Mandat nun auf einer Anti-Kriminalitäts- und marktorientierten Reformwelle reiten wird, und dies vor dem Hintergrund steigender Kriminalität im Land und einer außer Kontrolle geratenen Linken, die zuvor das Scheitern der argentinischen Wirtschaft eingeläutet hatte. Im Gegenteil, die Politik von Milei wird die materiellen Bedingungen – nämlich Armut und Elend, was beides die Kriminalität vorantreibt – nicht lindern. Seine Politik der harten Bekämpfung der Kriminalität, wird völlig im Widerspruch zu dem stehen, was Libertäre zu glauben behaupten. Sie ist bestenfalls ein Pflaster auf einer klaffenden Wunde. Schlimmstenfalls ist klar, dass er den gleichen Weg einschlagen wird wie andere ehemalige Freunde des ungezügelten Kapitalismus: Harte Männer wie etwa Chiles ehemaliger Diktator Augusto Pinochet.

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