Alexander Dugin: Der liberale Moment – Vom „Ende der Geschichte“ zu Trump

«Das Statement von Donald Trump war tatsächlich eine Kriegserklärung   – aber nicht an Russland, sondern an den deep state.«

«Noch nie waren wir dem Dritten Weltkrieg näher als heute unter Joe Biden. Ein globaler Konflikt zwischen Atommächten würde Tod und Zerstörung in einem Ausmaß bedeuten, das in der Geschichte der Menschheit beispiellos ist. Es wäre ein nukleares Armageddon. Nichts ist wichtiger, als diesen Albtraum zu verhindern. Wir werden ihn verhindern, aber wir brauchen eine neue Führung. Mit jedem Tag, an dem dieser Stellvertreterkrieg in der Ukraine andauert, riskieren wir einen globalen Krieg. Wir müssen absolut klarstellen, dass unser Ziel darin besteht, die Feindseligkeiten sofort vollständig einzustellen; alle Kampfhandlungen müssen eingestellt werden. Das ist das zentrale Thema. Wir brauchen unverzüglich Frieden. Darüber hinaus muss es auch ein vollständiges Bekenntnis zur Zerschlagung des gesamten globalistischen Neocon-Establishments geben, das uns ständig in endlose Kriege hineinzieht und vorgibt, im Ausland für Freiheit und Demokratie zu kämpfen, während es uns hier zu Hause in ein Land der Dritten Welt und eine Diktatur der Dritten Welt verwandelt. Das Außenministerium, die Militärbürokratie, die Geheimdienste und alle anderen müssen komplett überarbeitet und neu aufgestellt werden, um die Deep Staters zu entlassen und Amerika an die erste Stelle zu setzen   – wir müssen Amerika an die erste Stelle setzen. Schließlich müssen wir den Prozess abschließen, den wir unter meiner Regierung begonnen haben, um den Zweck und die Mission der NATO grundlegend neu zu bewerten. Unser außenpolitisches Establishment versucht immer wieder, die Welt in einen Konflikt mit einem nuklear bewaffneten Russland zu drängen, basierend auf der Lüge, dass Russland unsere größte Bedrohung darstellt. Die größte Bedrohung für die westliche Zivilisation ist heute jedoch nicht Russland, sondern wahrscheinlich vor allem wir selbst und einige der schrecklichen USA-hassenden Menschen, die uns repräsentieren. Es ist die Abschaffung unserer nationalen Grenzen. Es ist das Versagen, unsere eigenen Städte zu überwachen, es ist die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit von innen heraus, es ist der Zusammenbruch der Kernfamilie und der Fruchtbarkeitsraten, wie sie niemand für möglich hält. Es sind die Marxisten, die uns zu einer gottlosen Nation machen wollen, die am Altar von Rasse, Geschlecht und Umwelt anbetet, und es ist die globalistische Klasse, die uns völlig von China und anderen Ländern abhängig gemacht hat, die uns im Grunde hassen.»

30 Nov. 2024

Die teils hochtrabenden geschichtsphilosophischen Verlautbarungen und triumphalistischen Selbstzuschreibungen des Westens aus der Zeit nach 1989 sind schlecht gealtert. Alexander Dugin diagnostiziert ein „Ende des liberalen Moments“, das durch den Wahlsieg Donald Trumps markiert wird.

Alexander Dugin: Der liberale Moment – Vom „Ende der Geschichte“ zu Trump

Von Alexander Dugin

In der Ausgabe 1990/91 der angesehenen globalistischen Zeitschrift Foreign Affairs schrieb der US-Experte Charles Krauthammer einen programmatischen Artikel mit dem Titel „The Unipolar Moment“, in dem er das Ende der bipolaren Welt wie folgt erklärte. Nach dem Auseinanderbrechen des Warschauer Pakts und dem Zerfall der UdSSR (der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch nicht stattgefunden hatte) werde eine Weltordnung entstehen, in der die Vereinigten Staaten und die Länder des kollektiven Westens (NATO) der einzige Pol bleiben und die Welt beherrschen würden, indem sie Regeln, Normen und Gesetze aufstellen und ihre eigenen Interessen und Werte mit universellen, allgemeingültigen gleichsetzen. Diese de facto etablierte westliche Hegemonie über die Welt ist das, was Krauthammer den „unipolaren Moment“ nennt.

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Wenig später veröffentlichte ein anderer US-Experte, Francis Fukuyama, ein ähnliches Manifest über das „Ende der Geschichte“. Doch im Gegensatz zu Fukuyama, der sich beeilte zu verkünden, dass der Sieg des Westens über den Rest der Menschheit bereits stattgefunden habe und dass alle Länder und Völker fortan die liberale Ideologie unhinterfragt akzeptieren und die alleinige Vorherrschaft der USA und des Westens hinnehmen würden, war Krauthammer zurückhaltender und vorsichtiger und zog es vor, über den „Moment“ zu sprechen, d. h. die faktische Situation des internationalen Kräfteverhältnisses, zog aber keine voreiligen Schlüsse darüber, wie dauerhaft und langlebig die unipolare Weltordnung sein würde. Alle Anzeichen für Unipolarität waren vorhanden: die bedingungslose Anerkennung des Kapitalismus, der parlamentarischen Demokratie, der liberalen Werte, der Menschenrechtsideologie, der Technokratie, der Globalisierung und der US-Führung durch fast alle Länder. Krauthammer hielt diesen Zustand fest, räumte aber die Möglichkeit ein, dass es sich nicht um etwas Stabiles handele, sondern nur um ein Stadium, eine bestimmte Phase, die sich zu einem langfristigen Modell entwickeln könne (in diesem Fall hätte Fukuyama recht) oder sogar zu Ende gehen und einer anderen Weltordnung Platz machen könne.

Um die Jahreswende 2002/03 kehrte Krauthammer in einer anderen angesehenen, jedoch nicht mehr globalistischen, sondern in der realistischen [gemeint ist die „Realistische Schule“ der Politikwissenschaft/Internationalen Beziehungen; Anm. d. Red.] Zeitschrift National Interest in einem Artikel mit dem Titel „The Unipolar Moment Revisited“ zu seiner These zurück. Diesmal vertrat er die Ansicht, dass die Unipolarität nach zehn Jahren nur ein Moment und keine dauerhafte Weltordnung sei und dass bald alternative Modelle entstehen würden, um den wachsenden antiwestlichen Tendenzen in der Welt Rechnung zu tragen – in islamischen Ländern, in China, in einem erstarkenden Russland mit einem starken Präsidenten Wladimir Putin an der Macht. Spätere Ereignisse haben Krauthammer in seiner Überzeugung bestärkt, dass der unipolare Moment vorbei ist, dass es den USA nicht gelungen ist, ihre weltweite Führungsrolle, die sie in den 1990er-Jahren innehatten, dauerhaft und nachhaltig zu gestalten, und dass die Macht des Westens in eine Phase des Niedergangs und Verfalls eingetreten ist. Die westlichen Eliten waren nicht in der Lage, die Chance auf die Weltherrschaft, die praktisch in ihren Händen lag, zu nutzen, und nun ist es notwendig, sich am Aufbau einer multipolaren Welt in einem anderen Status zu beteiligen, ohne einen Hegemonieanspruch zu erheben, um nicht überhaupt am Rande der Geschichte zu landen.

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Die Erklärung des russischen Präsidenten zu den Mittelstreckenraketen kann kaum als etwas anderes als ein Schachmatt angesehen werden. 

Putins Münchner Rede im Jahr 2007, die Machtübernahme des starken chinesischen Führers Xi Jinping und das rasante Wachstum der chinesischen Wirtschaft, die Ereignisse in Georgien im Jahr 2008, der ukrainische Maidan und die Wiedervereinigung Russlands mit der Krim und schließlich, der Beginn der militärischen Spezialoperation im Jahr 2022 und der große Krieg im Nahen Osten im Jahr 2023 haben in der Praxis nur bestätigt, dass der vorsichtige Krauthammer und der das Zeitalter des „Kampfes der Kulturen“ vorhergesagt habende Samuel Huntington viel näher an der Wahrheit waren als Fukuyama, der (für den liberalen Westen) zu optimistisch war. Inzwischen ist allen vernünftigen Beobachtern klar, dass die Unipolarität nur ein „Moment“ war und dass sie durch ein neues Paradigma abgelöst wird: die Multipolarität oder – vorsichtiger ausgedrückt – ein „multipolarer Moment“.

Die Debatte darüber, ob etwas in diesem oder jenem internationalen, politischen und ideologischen System unumkehrbar oder im Gegenteil vorübergehend, übergangsweise, unbeständig in Erscheinung tritt, hat eine lange Geschichte. Oft pochen die Verfechter einer Theorie vehement auf der Unumkehrbarkeit der sozialen Systeme und Transformationen, mit denen sie einverstanden sind, während ihre Gegner, oder einfach Skeptiker und kritische Beobachter, die alternative Idee vorbringen, dass es sich nur um eine Frage des Moments handelt.

Dies lässt sich leicht am Beispiel des Marxismus erkennen. Während für die liberale Theorie der Kapitalismus und das bürgerliche System das Schicksal der Menschheit sind – sie entstehen und werden nie enden (da die Welt nur liberal-kapitalistisch sein kann und allmählich alle zur Mittelschicht, d. h. zur Bourgeoisie werden) –, sahen die Marxisten den Kapitalismus selbst als ein historisches Moment der Entwicklung…

Er war notwendig, um das vorangegangene (feudale) Moment zu überwinden, muss aber seinerseits durch Sozialismus und Kommunismus überwunden werden, und die Macht der gescheiterten und degenerierten „Bourgeoisie“ muss durch die Machtausuebung der Voelker der Welt ersetzt werden nach der Beseitigung der herrschenden Machtausuebung der Kapitalisten in den Staatsapparaten des westlichen Laender.

…Für die Marxisten ist der Kommunismus kein Augenblick mehr, sondern „das Ende der Geschichte“.

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Die sozialistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts – in Russland, China, Vietnam, Korea, auf Kuba usw. – waren ein ernsthafter Beweis für die Richtigkeit des Marxismus. Aber die Weltrevolution fand nicht statt, und es begannen zwei ideologische Systeme auf der Welt zu existieren – es war eine bipolare Welt, die von 1945 (nach dem gemeinsamen Sieg von Kommunisten und Kapitalisten über Nazideutschland) bis 1991 existierte. In der ideologischen Konfrontation argumentierte jedes Lager, dass das gegnerische Lager kein Schicksal sei, sondern lediglich ein Moment, nicht das Ende der Geschichte, sondern eine dialektische Zwischenphase. Die Kommunisten bestanden darauf, dass der Kapitalismus zusammenbrechen und der Sozialismus überall herrschen werde und dass die kommunistischen Regime selbst „auf ewig existieren“ würden. Die liberalen Ideologien antworteten ihnen: Nein, der historische Moment seid ihr, ihr seid nur eine Abirrung vom bürgerlichen Entwicklungsweg, ein Missverständnis, eine Abweichung, und der Kapitalismus wird ewig existieren.

Dies ist in der Tat der Inhalt von Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“. Im Jahr 1991 schien er recht zu haben. Das sozialistische System brach zusammen, und die Ruinen der UdSSR und Chinas stürzten sich auf den Markt, d. h. sie wechselten zum Kapitalismus, was die Vorhersagen der Liberalen bestätigte.

Allerdings wurde in China zum Beispiel den Kapitalisten zwar das Recht auf Privateigentum belassen. Sie wurden aber anders als im Wertewesten aus der Staatsmacht entfernt. Dazu kommt, dass das Recht auf Privateigentum und die Unantastbarkeit desselben vom Wertewesten immer mehr in Frage gestellt werden.

Natürlich lauern einige Marxisten und glauben, dass es noch nicht Abend ist, das kapitalistische System noch scheitern wird – und dann wird die Stunde der proletarischen Revolution kommen. Aber das ist nicht sicher. Schließlich wird das Proletariat auf der Welt immer weniger, und die Menschheit entwickelt sich insgesamt in eine völlig andere Richtung.

Die Ansichten der Liberalen, die im Anschluss an Fukuyama den Kommunismus mit dem Augenblick gleichsetzten und einen „endlosen Kapitalismus“ ausriefen, sind viel berechtigter. Die Parameter der neuen Gesellschaft, in der das Kapital die totale und reale Herrschaft erlangt, wurden von den Postmodernisten auf verschiedene Weise durchgespielt, indem sie extravagante Methoden zur Bekämpfung des Kapitals von innen heraus vorschlugen. Dazu gehörten der proletarische Selbstmord, die bewusste Verwandlung des Individuums in einen Invaliden oder einen Computervirus, die Geschlechtsumwandlung und sogar der Speziesismus. All dies ist zum Programm der liberalen Linken in den USA geworden und wird von der herrschenden Spitze der Demokratischen Partei aktiv unterstützt Woke, Cancel Culture, Öko-Aktivismus, Transgender-Anhänger, Transhumanismus usw. Aber sowohl Befürworter als auch Gegner des siegreichen Kapitalismus sind sich einig, dass es sich nicht nur um eine Entwicklungsphase handelt, die durch etwas anderes ersetzt wird, sondern dass dies das Schicksal und die letzte Phase der Menschheitsbildung ist. Nur der Übergang zu einem posthumanen Zustand – was Futurologen „Singularität“ nennen – kann weiter sein. Die eigentliche Sterblichkeit des Menschen wird hier zugunsten der mechanischen Unsterblichkeit der Maschine überwunden. Mit anderen Worten: Willkommen in der Matrix.

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Allein die Möglichkeit, den Begriff „Moment“ auf die Ära des „globalen Sieges des Kapitalismus“ anzuwenden, eröffnet jedoch eine ganz besondere Perspektive, die noch wenig durchdacht und entwickelt ist, aber immer deutlicher wird. Müssen wir nicht annehmen, dass der offene und offensichtliche Zusammenbruch der westlichen Führungsrolle und die Unfähigkeit des Westens, eine vollwertige universelle Instanz legitimer Macht zu sein, eine ideologische Dimension haben? Bedeutet das Ende der Unipolarität und der westlichen Hegemonie nicht auch das Ende des Liberalismus?

Diese Überlegung wird durch ein entscheidendes politisches Ereignis bestätigt: die erste und zweite Amtszeit von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten. Die Wahl eines Politikers zum Präsidenten durch die US-Gesellschaft, der den Globalismus und den Liberalismus offen kritisiert, ist ein anschaulicher Ausdruck der Tatsache, dass selbst im Zentrum des unipolaren Westens eine kritische Masse der Unzufriedenheit mit dem wichtigsten ideologischen und geopolitischen Vektor der Herrschaft der liberalen Eliten herangereift ist. Darüber hinaus charakterisiert Trumps Entscheidung für das Amt des US-Vizepräsidenten, J. D. Vance, seine Weltanschauung ausdrücklich als Anhänger der „postliberalen Rechten“. Der Begriff „Liberalismus“ tauchte während des gesamten Wahlkampfs von Trump als Negativbegriff auf, obwohl er sich auf den „Linksliberalismus“ als Ideologie der Demokratischen Partei der USA bezog. In den breiteren Kreisen des „Graswurzel-Trumpismus“ ist der Liberalismus jedoch immer mehr zu einem Schimpfwort geworden und wird als etwas angesehen, das untrennbar mit der Degeneration, dem Verfall und der Perversion der herrschenden Eliten verbunden ist. In der Zitadelle des Liberalismus – den Vereinigten Staaten – hat zum zweiten Mal in der jüngeren Geschichte ein Politiker gewonnen, der dem Liberalismus äußerst kritisch gegenübersteht, und seine Anhänger scheuen sich nicht, diese ideologische Strömung direkt zu verteufeln.

Wir können also vom Ende des „liberalen Moments“ sprechen, von der Tatsache, dass der Liberalismus, der in der historischen Perspektive gewonnen und die Ideologie ein für alle Mal besiegt zu haben schien, sich nur als eine der Etappen der Weltgeschichte erwies, nicht als ihr Ende. Und jenseits des Liberalismus – nach dem Ende des Liberalismus und auf der anderen Seite des Liberalismus – wird sich nach und nach eine alternative Ideologie, eine andere Weltordnung, ein anderes Wertesystem herausbilden. Der Liberalismus erweist sich nicht als Schicksal, nicht als Ende der Geschichte, nicht als etwas Unumkehrbares und Universelles – sondern nur als eine Episode, nur als eine historische Epoche mit einem Anfang und einem Ende, mit klaren geografischen und historischen Grenzen. Der Liberalismus ist eingebettet in den Kontext der westlichen Moderne. Er gewann ideologische Kämpfe mit anderen Spielarten dieser Moderne (mit dem Nationalismus und dem Kommunismus), aber am Ende brach er zusammen, kam zu einem Ende. Und damit endete auch Krauthammers unipolarer Moment und der noch umfassendere Zyklus der alleinigen kolonialen Vorherrschaft des Westens auf planetarischer Stufe, der mit dem Zeitalter der großen geografischen Entdeckungen begann.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 26. November 2024 zuerst auf RIA Nowosti erschienen.

Alexander Dugin ist ein russischer Philosoph, Politikwissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

Die Botschaft der „Haselnuss“ an die Ukraine und NATO

https://freedert.online/meinung/227387-alexander-dugin-der-liberale-moment-vom-ende-der-geschichte-zu-trump/

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